PANS/PANDAS: Wenn Infektionen das Gehirn entflammen – Die Rolle von Darm, Immunsystem und Neuroinflammation

 

Die Abkürzungen PANS (Pediatric Acute-onset Neuropsychiatric Syndrome) und PANDAS (Pediatric Autoimmune Neuropsychiatric Disorders Associated with Streptococcal infections) stehen für Erkrankungen, bei denen Infektionen – insbesondere mit Streptokokken – scheinbar plötzlich eine Vielzahl neuropsychiatrischer Symptome bei Kindern auslösen. Doch die eigentliche Geschichte ist weitaus komplexer: Sie führt vom Darmmikrobiom über Immunfehlreaktionen bis tief hinein ins Gehirn, dessen Schutzmechanismen an bestimmten Stellen überraschend verwundbar sind.

 

Was ist PANS/PANDAS?
PANS beschreibt ein Syndrom mit plötzlich auftretenden Zwangsstörungen (OCD-Obsessive-Compulsive Disorder), Tics, Angstzuständen und anderen neurologischen Symptomen. Bei PANDAS steht eine vorherige Infektion mit Streptokokken im Vordergrund – meist eine Angina (Rachenentzündung). Bei beiden scheint das Immunsystem fehlgeleitet zu sein und fälschlicherweise Strukturen im eigenen Körper anzugreifen – insbesondere im Gehirn.

 

Streptokokken und molekulare Mimikry
Streptokokken – vor allem die Gruppe-A-Streptokokken (z. B. Streptococcus pyogenes) – besitzen eine gefährliche Fähigkeit: Sie können Bestandteile ihrer Zellwand so verändern, dass sie strukturell den Zellen des menschlichen Körpers ähneln. Dieser Trick, bekannt als molekulare Mimikry, erlaubt es ihnen, sich vor dem Immunsystem zu tarnen. Sie fügen Antigene in ihre Zelloberfläche ein, die körpereigenen Strukturen des Wirts stark ähneln, so können sie der Erkennung des Immunsystems entgehen.

Doch dieser Trick birgt eine Kehrseite: Wenn das Immunsystem doch aktiv wird, richtet sich die Antwort nicht nur gegen die Erreger, sondern auch gegen körpereigene Zellen, die ähnlich aussehen – zum Beispiel im ZNS (zentrale Nervensystem). Dies führt zu Autoimmunreaktionen und Neuroinflammation.

Hier der Vorgang der molekularen Mimikry bei Strektokokken:

  1. Antigenstruktur der Streptokokken-Zellwand: Streptokokken besitzen z. B. das sogenannte M-Protein auf ihrer Oberfläche. Dieses M-Protein hat Sequenzähnlichkeiten zu menschlichen Proteinen, etwa: Myosin (Herzmuskel), Tropomyosin, Neurofilament-Proteinen, Basalganglien-Antigenen im Gehirn
  2. Täuschung des Immunsystems: Anfangs erkennt das Immunsystem die Streptokokken nicht als fremd. Bildet es später dennoch Antikörper gegen das M-Protein, kreuzreagieren diese mit körpereigenem Gewebe (z. B. im Gehirn oder Herzen).
  3. Autoimmunreaktion: Diese Kreuzreaktion führt zu Erkrankungen wie: Rheumatisches Fieber (Herz, Gelenke), Sydenham-Chorea (Basalganglien, Bewegungsstörungen), PANDAS/PANS (neuropsychiatrische Symptome)

 

Der Riechnerv: Die offene Tür ins Gehirn
Der Nervus olfactorius (Riechnerv) ist einzigartig im menschlichen Nervensystem. Seine Nervenzellen durchziehen die Nasenschleimhaut und senden Signale direkt ins Gehirn, genauer in den Bulbus olfactorius (Riechkolben), ohne dass eine klassische Blut-Hirn-Schranke (BHS) dazwischenliegt. Diese anatomische Besonderheit macht ihn zu einer potentiellen Eintrittspforte für pathogene Moleküle, Mikroorganismen  sowie Toxinen (u.a. Mykotoxinen) oder Immunreaktionen – insbesondere bei chronischen Entzündungen im Nasen-Rachen-Raum.

Somit stellt die Riechbahn  eine direkte Verbindung zwischen Außenwelt, Nasen-Rachen-Raum und Gehirn dar. Bei Infektionen mit Streptokokken – gerade wenn sie sich in Rachen und Nase manifestieren – kann dieser Pfad genutzt werden, um entzündliche oder autoimmune Prozesse ins Gehirn zu transportieren, ohne dass die klassische Blut-Hirn-Schranke überwunden werden muss.

 

Anatomische und immunologische Verbindung: Nase – Rachen – Gehirn
Die Nasen- und Rachenschleimhäute bilden ein zusammenhängendes Mukosa-System (Nasopharynx). Streptokokken – insbesondere bei einer Racheninfektion (Angina tonsillaris) – können auch die nasalen Strukturen besiedeln und durch entzündliche Prozesse (z. B. bei Schnupfen, Sinusitis, chronischer Rhinitis) dort Entzündungsmediatoren freisetzen. Diese Immunreaktionen sind nicht auf den Rachen begrenzt:
Entzündungsfaktoren (z. B. Zytokine, Antikörper, aktivierte Immunzellen) diffundieren oder migrieren entlang der Riechbahn in Richtung Gehirn und aktivieren die Mikrogliazellen (Immunzellen des Gehirns) im Gehirn.

Besonders bei wiederkehrenden Infektionen im Nasen-Rachen-Raum kann so eine chronische Immunaktivierung entstehen, die via Riechnerv ins Gehirn wirkt.

Warum ist das für PANS/PANDAS wichtig?

  • Viele Kinder mit PANDAS berichten von wiederkehrenden Racheninfektionen, aber auch von Schnupfen, Nasennebenhöhlenentzündungen oder allergischen Rhinitis.
  • Das bedeutet: Nicht nur die Tonsillen (Mandeln), sondern auch die Nasenschleimhaut kann ein Trigger für Immunaktivierung und nachfolgende Neuroinflammation sein.
  • Der Riechnerv bietet hier eine spezifische „Schwachstelle“ im Schutzsystem des Gehirns.

 

Darmmikrobiom, T-Helferzellen und Mastzellen, Migrogliazellen: Der stille Motor der Neuroinflammation
Das Mikrobiom – insbesondere im Darm – spielt eine Schlüsselrolle bei der Ausbildung und Regulierung des Immunsystems. Dysbiosen (Ungleichgewichte) können zur permeablen Darmwand führen (Leaky Gut), was wiederum entzündungsfördernde Signale ins Blut bringt. Diese reizen das zentrale Immunsystem – ein Ausgangspunkt für die Fehlreaktionen bei PANS/PANDAS.

Besonders relevant sind die Th17-Zellen. Sie spielen eine entscheidende Rolle bei Autoimmunerkrankungen. In einem gestörten Mikrobiom-Milieu kann ihre Aktivierung steigen. Ihre Zytokine überqueren entweder direkt die Blut-Hirn-Schranke oder wirken über periphere Entzündungen, die indirekt zur Aktivierung von Immunzellen im Gehirn führen.

Mastzellen – bekannt aus allergischen Reaktionen – sind auch im Gehirn aktiv. Bei übermäßiger Aktivierung (z. B. durch Infektionen oder toxische Substanzen) setzen sie eine Vielzahl von Entzündungsmediatoren frei: Histamin, Zytokine und andere Botenstoffe. Dies fördert neuroinflammatorische Prozesse, beeinflusst die Blut-Hirn-Schranke und führt zur Aktivierung der Mikrogliazellen – den Immunzellen des Gehirns.

Mikroglia sind spezialisierte Immunzellen des ZNS. Sie überwachen das Gehirn auf Schäden oder Eindringlinge. Bei PANS/PANDAS reagieren sie auf Immunstimuli (z. B. Antikörper gegen Streptokokken oder Zytokine aus der Peripherie) mit einer Überaktivierung. Statt nur zu schützen, verursachen sie eine chronische Entzündung – Neuroinflammation – die Nervenzellen schädigen oder deren Funktion verändern kann. Dies kann erklären, warum bei Betroffenen so plötzlich psychiatrische und kognitive Symptome auftreten.

 

Wie hängt das alles zusammen?
Hier ist eine vereinfachte Kette möglicher Ereignisse:

  1. Infektion mit Streptokokken (Rachen, Nase, Haut)
  2. Molekulare Mimikry → Immunsystem bildet Autoantikörper
  3. Antikörper durchbrechen Schutzbarrieren (z. B. über Riechnerv oder gestörte Blut-Hirn-Schranke)
  4. Aktivierung von Mikroglia, Th17-Zellen, Mastzellen
  5. Neuroinflammation → Symptome wie Tics, Zwänge, Angst, Konzentrationsstörungen
  6. Verstärkung durch gestörte Darmflora → systemische Entzündung nimmt zu

 

Fazit: Ein multidimensionales Krankheitsbild
PANS und PANDAS sind mehr als nur seltene Kinderkrankheiten. Sie sind Ausdruck eines komplexen Zusammenspiels zwischen:

  • Infektionen (v. a. Streptokokken)
  • Immunregulation (Th17, Mastzellen)
  • Neuroimmunologie (Mikroglia, Antikörper)
  • Umweltfaktoren (z. B. Antibiotika, Ernährung)
  • Darmmikrobiom (und seiner Kommunikation mit dem Gehirn)

 

Was bedeutet das für die Therapie?
Ein interdisziplinärer Ansatz ist entscheidend. Potenzielle Maßnahmen umfassen:

  • Erkennung und Behandlung von Infektionen
  • Reduktion von Neuroinflammation (z. B. mit Immunmodulatoren)
  • Wiederherstellung der Darmgesundheit (z. B. durch Probiotika, Ernährung)
  • Stärkung der Blut-Hirn-Schranke (z.B. durch Lithiumorotat)
  • Psychiatrische/psychologische Begleitung

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Referenzen:

https://www.oralhealthgroup.com/features/pandas-story-molecular-mimicry/
https://www.jaacap.org/article/S0890-8567%2823%2901297-2/fulltext
https://www.moleculeralabs.com/neuropsychiatric-disorders-molecular-mimicry/
https://centrespringmd.com/understanding-the-link-between-pans-pandas-and-the-microbiome-in-integrative-medicine/
https://www.nimh.nih.gov/health/publications/pandas
https://www.pandasppn.org/german/